Auf dieser Seite findest du eine kurze Übersicht über Neonazi-Strukturen in Chemnitz und Angriffe durch Nazis, die besonders deutlich gemacht haben, wie schädlich die rechte Ideologie für unsere Gesellschaft ist.
Der NSU in Chemnitz
Chemnitz ist nicht erst seit 2018 für die rechte Szene in Deutschland von Bedeutung. Spätestens seit den 1990er Jahren ist die Stadt ein ruhiger Hafen für Neonazis. Nicht umsonst konnte das Trio des NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) in Chemnitz ungestört ihre terroristischen Anschläge vorbereiten. Hier, wo der NSU auf breite Unterstützung aus der Neonazi-Szene zählen konnte, lebten die drei Rechtsterroristen ungestört in Wohnungen auf der Friedrich-Viertel-Straße auf dem Kaßberg, der Limbacher Straße in Altendorf, der Altchemnitzer Straße in Bernsdorf und der Wolgograder Allee im Heckert-Gebiet. In Chemnitz erhielten sie Pässe, Krankenkarten und Bahncards – und den Sprengstoff zum Bombenbau.
Im Dezember 1998 verübte der NSU den ersten Raubüberfall in Chemnitz auf den Edeka Irkutsker Straße. Dabei schossen sie auf einen 16-Jährigen Jugendlichen. Anfang Oktober 1999 überfiel der NSU die Postfiliale Barbarossastraße – heute die Suppkultur. Ende Oktober 1999 verübte der NSU einen weiteren Raubüberfall auf die Postfiliale Limbacher Straße und im November 2000 auf die Postfiliale Johannes-Dick-Straße. Im September 2003 überfiel der NSU die Sparkasse Paul-Bertz-Straße und im Mai 2004 die Sparkasse Albert-Schweitzer-Str. Nur vier Tage später griffen sie die Sparkasse Sandstraße an. Zwischen 1998 und 2004 verübte das NSU-Trio 7 Raubüberfälle in Chemnitz. Insgesamt raubten sie über 600.000€, mit denen die Neonaziszene in Chemnitz und Zwickau unterstützt wurde. Ohne dieses Geld wären die grausamen Terroranschläge des NSU niemals möglich gewesen. In Chemnitz wurde auch die Mordwaffe (Ceska 83) übergeben, mit welcher später neun unschuldige Menschen und eine Polizistin hingerichtet wurden. Wir gedenken den Opfern, Betroffenen und Hinterbliebenen von neun Morden, einem Mordversuch, drei Sprengstoffanschlägen und 15 Raubüberfällen.
Der Nationalsozialistischer Untergrund steht für einen der größten Skandale der Nachkriegszeit in der BRD und für das eklatante Versagen des deutschen Rechtsstaates und seiner Ermittlungsbehörden. Nach Offenlegung der NSU-Aktivitäten in Chemnitz hätte mit einer umgehenden Bekämpfung faschistischer Strukturen in der Region von Seiten des Staates gerechnet werden können – doch weit gefehlt. Die Ereignisse der letzten Jahre zeigen, dass die staatlichen Behörden weiterhin nicht willens oder in der Lage sind, Neonazis den Raum zur gewaltvollen Anwendung ihrer menschenverachtenden Ideologien zu entziehen.
Neuere rechte Strukturen in Chemnitz
In Chemnitz haben sich im Laufe der Jahrzehnte nicht nur rechte Parteien (NPD, AfD, ProChemnitz, Freie Sachsen etc.), Kameradschaften und politische Gruppen etabliert, sondern auch Strukturen in Produktion und Vertrieb. Das Angebot des Ladens Rascal / The Clash in Schlosschemnitz ist quasi eine Fundgrube für die rechtspolitische Subkultur. Das Bekleidungsgeschäft Tønsberg auf dem Brühl existierte seit 2012, am Anfang unter dem Namen Brevik (benannt nach dem Rechtsterrorist Anders Breivik, der 77 Menschen tötete). Tønsberg wurde 2021 geschlossen, ebenso wie der Laden Backstreetnoise im Heckert-Gebiet. Backstreetnoise existierte seit 20 Jahren und verkaufte z.B. rechte Kleidung und Musik. Zu Backstreetnoise gehörte auch PC Records – ein weltweit agierendes Rechtsrock-Label mit seinem Standort im Heckert-Gebiet. Der Besitzer war bereits zuvor Teil der Gruppe Chemnitz Concert 88, die Mitte der 1990er Jahre in Sachsen zahlreiche Neonazikonzerte organisierte. Chemnitz brachte auch rechte Musikgruppen hervor, zum Beispiel die RechtsRock-Bands Blitzkrieg, Sturmkrieger und Heiliges Reich. Fast alle sächsischen NSU-Unterstützer standen dem verbotenen Neonazi-Musik-Netzwerk Blood & Honour (B&H) nahe, auch Neonazis in Chemnitz. Die Nachfolgeorganisation nach dem Verbot von B&H Sachsen waren die Skinheads Chemnitz. Mindestens ein ehemaliges Mitglied der Skinheads Chemnitz 88 sitzen heute im Stadtrat für die AfD. Das Chemnitzer Blood & Honour-Netzwerk war eine der aktivsten B&H-Strukturen in Deutschland und im Vertrieb und in der Produktion von RechtsRock ganz weit vorn.
Das Verbot der rechten Gruppe Nationalen Sozialisten Chemnitz (NSC) im März 2014 hatte die Chemnitzer Szene schwer getroffen. Manche ihrer Mitglieder traten in die Partei Der III. Weg im Erzgebirge ein, andere feierten die Wiedergeburt der Jungen Nationaldemokraten Chemnitz. Doch aufgrund zahlreicher Differenzen blieb es in der städtischen Neonazi-Szene zwei Jahre lang ruhig. Daran änderte auch die Wiederbelebung der neonazistischen Fußball-Fangruppierung NS-Boys nichts – bis sich 2015 eine Gruppe namens Rechtes Plenum gründete. Diese Gruppe wollte im Viertel Sonnenberg durch Propaganda und Gewalt einen Angstraum für politische Gegner:inennen und Migrant:innen aufbauen. Im April 2016 gab es eine dreifache Brandstifung in einem Haus auf dem Sonnenberg, wo viele Migrant:innen wohnten und das nur 200 Meter von dem Treffpunkt des Rechten Plenums entfernt war. Schließlich wurden die Mitglieder der rechten Gruppe durch eine umfangreiche Recherche von Antifaschist:innen geoutet und die Gruppe gab ihre Auflösung bekannt.
Bis heute sind rechte Strukturen in der Stadt präsent. Die Verbindungen zwischen dem Chemnitzer Fußballclub (CFC) und der Neonazi-Szene sind ebenso bekannt, wie Neonazis in rechten Security-Unternehmen. Anfang ger 1990er Jahre gründete der Chef von Haller Security die rechtsextreme Hooligangruppe HooNaRa (Hooligans Nazis Rassisten), die sich 2007 offiziell auflöste. Ein Mitglied von HooNaRa war beiteiligt an der Ermordung des 17-Jährigen Patrick Thürmer, welcher nach einem Punk-Konzert totgeprügelt wurde. Die Gruppe HooNaRa gilt als besonders gewalttätig. Die rechte Gruppe beteiligte sich an Hooligan-Kämpfen und ist für einen großen Teil der rechten Angriffe in den 1990er- und frühen 2000er-Jahren in der Stadt verantwortlich. Bedeutsam unter den neonazistischen Fußball-Fangruppierungen war auch die offen nationalistisch ausgerichtete Gruppe Chemnitzer New Society (NS-Boys). Sie haben sich 2004 gegründet und 2019 offiziell aufgelöst. Neben den NS-Boys hatte die Hooligan-Gruppe Kaotic Chemnitz jahrelang ein Gewalt- und Machtmonopol in den Fanstrukturen des CFCs. Die Fangruppe Kaotic hat in einem Facebook-Post 2018 zur rassistischen Mobilisierung aufgerufen. Daraufhin versammelten sich am 26. August 2018 etwa 800 Menschen. Es kam zu Hetzjagden und Angriffen auf Migrant:innen.
Seit 2018 hat sich in Chemnitz nicht viel verändert. Während der Corona-Pandemie mobilisierten rechte Parteien zeitweise über 5000 Menschen zu Demonstrationen gegen die Corona-Politik. In Mittelsachsen hat sich in den vergangenen Jahren ein Netzwerk völkischer (Neonazi-)Familien angesiedelt. Der Zuzug wird koordiniert durch die Initiative Zusammenrücken in Mitteldeutschland. Als Musterbeispiel gilt ein Neonazi von der Partei Die Rechte aus Dortmund, der 2020 nach Chemnitz gezogen ist und nun Teil der neu gegründeten extrem rechten Partei Freie Sachsen ist. Chemnitz wurde zur Europäischen Kulturhauptstadt ernannt – dennoch gibt es weiterhin klandestin arbeitende Nazi-Strukturen, rechte Kampfsportevents und Waffendepots. Und rechtsmotivierte Gewalt gibt es bis heute. Im nächsten Kapitel werden einige Angriffe durch Neonazis gelistet, die besonders grausam waren.
Rechte Gewalt in Chemnitz
Im Dezember 2002 warfen unbekannte Täter:innen Molotow-Cocktails in eine von 180 jüdischen Migrant:innen aus den GUS-Staaten und Geflüchteten bewohnte Unterkunft in Chemnitz.
Im April 2016 mündete die wochenlange Belagerung durch rassistische Proteste im Stadtteil Einsiedel in einem Brandanschlag auf das ehemalige Pionierlager. Dabei landeten drei Molotov-Cocktails wenige Meter vor den Häusern im Gras. In beiden Häusern waren zu diesem Zeitpunkt 21 Schutzsuchende untergebracht, darunter viele Kinder. Bei diesem Angriff wurde der potentielle Tod dieser Menschen in Kauf genommen.
Seit dem 26. August 2018 wurde der Tod von Daniel H. beim Stadtfest zu politischen Mobilisierungen durch Faschist:innen von Parteien und Bürgerbewegungen wie ProChemnitz, Pegida, AFD, dem Dritten Weg, der Identitären Bewegung und autonom organisierten Nazigruppierungen wie rechten Hooligans aus dem CFC-Umfeld instrumentalisiert. An den gewaltbereiten Demonstrationen nahmen längst bekannte Neonazis mit teil, welche in gut vernetzten rechten Strukturen aktiv sind. Im Zuge der rechten Demonstrationen kam es zu Hetzjagden und unzähligen Angriffen auf Menschen, die von Rassismus betroffen sind, politische Gegner:innen und linke Einrichtungen. Außerdem wurden mindestens vier Restaurants angegriffen. Das iranische Restaurant Safran, bei dem auch der Besitzer schwer verletzt wurde, das jüdische Restaurant Schalom, das persische Restaurant Schmetterling und das indische Restaurant Bombay Palast.
Mitte September 2018 wurde eine Gruppe von Jugendlichen von 15 Männern angegriffen, die sich als Bürgerwehr bezeichnete und mit Flaschen, Quarzhandschuhen und einem Elektroschocker bewaffnet war. Sie kontrollierten Personalien, schrien rassistische Beleidigungen und fügten einem Iraner mit einer Flasche eine Platzwunde am Kopf zu. Sechs Personen aus der Gruppe der Tatverdächtigen wurden später wegen des Vorwurfs zur Bildung der rechtsterroristischen Vereinigung Revolution Chemnitz nach §129a festgenommen.
Im Herbst 2018 kam es auch zu einer Entführung, die von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt blieb. Am 22. Oktober wurde ein Mitarbeiter der Bäckerei Zozan von vier deutschsprachigen Männern mit vorgehaltener Pistole in einem Transporter in Flöha entführt. Die Entführer sind in den Wald gefahren, haben seine Augen verbunden und seine Hände gefesselt. Sie haben den Mitarbeiter beleidigt und ihm zu verstehen gegeben, dass er das Land verlassen solle. „Ich dachte, sie bringen mich um“, erinnert sich der Mitarbeiter. Ihm wurde ein ausgedrucktes Foto seines Chefs gezeigt, welches mit einem roten Kreuz durchgestrichen war. „Alle Flüchtlinge sind für uns ein Problem“, hat einer der Männer zu ihm gesagt. „Sag deinem Chef und allen Flüchtlingen, dass es so weitergehen wird, wenn sie nicht verschwinden“. Die übrigen Männer hätten das Seil an seinen Händen durch seine eigenen Schnürsenkel ersetzt, die Schuhe mitgenommen und ihn allein im Wald zurück gelassen.
Diese Auflistung ist keine vollständige Zusammenfassung rechtsmotivierter Gewalttaten in Chemnitz. Es geschehen regelmäßig Angriffe von Neonazis auf Personen, die von Rassismus betroffen sind oder eine andere politische Einstellung haben. Die Gewalt, die nicht von den Medien beachtet wird, dürfen wir nicht vergessen! Wir solidarisieren uns mit allen Betroffenen und Opfern rassistischer und rechtsmotivierter Gewalt und müssen weiterhin mit aller Kraft gegen den Faschismus kämpfen!
Weitere Informationen:
Johannes Grunert (2016): Rechtes Plenum in Chemnitz (Der Rechte Rand).